Manuela und Lilien Grupe
Vortrag von Alf Hermann

Zwei Malerinnen, Manuela und Lillien Grupe, Mutter und Tochter, eine Einheit, ein Herz und eine Seele, ist es das, was wir in dieser Ausstellung erleben? Oder eher das, was die soeben gekürte Buch-Preisträgerin Kristine Bilkau in ihrem Roman „Halbinsel“ beschreibt, nämlich einen Generationenkonflikt, der von einer äußerst schwierigen, ja, nahezu unmöglichen Mutter-Tochter-Beziehung zeugt? Wenn man die Bilder sieht und miteinander vergleicht, dann ist es wohl weder das eine noch das andere. Es ist ein gewisser Gleichklang, was z.B. den fotorealistischen Malstil angeht, aber eine sichtliche Diskrepanz in Bezug auf die Aussagen, also die inhaltlichen Beweggründe. Manuela Grupe, die Mutter, also die Ältere, will nicht verstören, sondern eher beschwichtigen in einer Zeit, in der nahezu alle aufgeregter, wenn nicht gar aufgebrachter erscheinen als je zuvor. Lillien, die Tochter, also die Jüngere, will oder kann sich dem Zeitgeist nicht entziehen, sie nimmt die Aufgeregtheit an und ist in ihrer aufbegehrenden Dynamik eher eine Unruhestifterin als Beruhigerin. Die beiden Malerinnen repräsentieren also bei aller Ähnlichkeit ihres stilistischen Vorgehens die Veränderungen in der Gesellschaft. Man könnte es auch einfach so sagen, und das ist ja eigentlich auch selbstverständlich: Die Tochter ist moderner als die Mutter. Und das ist natürlich gut so. Der Fotorealismus ist als Malstil allerdings nicht unbedingt modern, auch wenn z.B. der weltberühmte Gerhard Richter, der die Gegenwartskunst bzw. ihren Markt derzeit souverän beherrscht, noch als ein typischer Vertreter dieses Malstils gilt. Mir fällt Im Zusammenhang mit den Grupes aber eher Johannes Grützke ein, der ja in Gottorf recht gut vertreten ist.

Johannes Grützke, „Wie bitte?“
Grützke begnügt sich nicht damit, wie die US-Amerikaner, die in den 1960er- und 1970er-Jahren Fotos ganz alltäglicher Motive so nachgemalt haben, als seien es die Fotos selbst, projizierte Fotografien einfach zu übermalen, nein, Grützke hat seine Motive gegenüber den Foto-Vorlagen sichtlich verändert und entstellt, mitunter ins Groteske gesteigert, so dass seine Bilder zwar immer noch an Fotos erinnerten, sich aber motivisch deutlich von ihnen absetzten. Und wenn man einen extrem realistischen Malstil gewissermaßen als zeitlos ansehen will in einer Zeit, in der es ja, anders als früher, keinerlei stilistischen Begrenzungen und damit auch keine festgelegten Publikumserwartungen mehr gibt, dann muss es die Botschaft sein, die zeitgemäß ist. Und dann ist es überzeugend, dass Manuela Grupe die Weisheit und Gelassenheit der älteren Generation vermittelt und ihre Tochter Lillien den rebellischen und sozial engagierten Geist der Jugend. Nehmen wir zwei Beispiele der in diesen beiden Räumen hängenden Bilder, um diese Feststellung zu veranschaulichen und zu untermauern. Da ist
zum einen dieses Gemälde von Manuela Grupe, also der Mutter mit dem Titel „Das Seelentier“

Manuela Grupe, „Das Seelentier“
Wir sehen eine ältere Dame mit auffällig gefaltetem Gesicht, die etwas verschmitzt, wohl auch etwas skeptisch und offenbar an etwas denkend, was sie uns gern mitteilen würde und kaum zurückhalten kann, in die Kamera bzw. die Augen von uns Betrachtern guckt, begleitet von neugierig sich ins Bild drängenden Gänsen, die ja auch gern schnattern und sich mitteilen wollen, aber hier ebenfalls noch den Schnabel halten. Das Motiv ist mit Humor in Szene gesetzt. Auch, wie das Bild unten angeschnitten, das Motiv gleichsam nach unten verrutscht ist und ganz wegzurutschen droht, mutet so heiter an wie die Schönwetterwolken am strahlend blauen Himmel.
Vergleichen wir dieses Bild nun mit einem ebenfalls hier hängenden Gemälde der Tochter Lillien, das den Titel trägt „Liebesband“, dann ist der inhaltliche Unterschied mit den Händen zu greifen.

Lillien Grupe, „Das Liebesband“
Die dargestellte Frau ist nun deutlich jünger, hat noch so glatte Haut wie ein Kinder-Popo, wirkt gar nicht verschmitzt und mitteilungsbedürftig, sondern eher in sich gekehrt und verschlossen, möchte in diesem Augenblick jedenfalls nicht zu uns sprechen, sondern mit ihren besorgten Gedanken allein gelassen werden. Wiederum nehmen die Wolken den größten Teil des Bildes ein, aber von Schönwetter keine Spur, sondern Sturm und Gewitter prägen die Atmosphäre, die Natur erscheint nicht heiter, sondern extrem bedrohlich. Lillien Grupe erzählte mir, dass es sich um ihre Schwester handele, und kann auch etwas zu dem zumindest mich etwas irritierenden Titel „Liebesband“ sagen, wenn Sie sie nachher beim Rundgang dazu befragen möchten. Zu guter Letzt, ehe ich die beiden Künstlerinnen noch ein bisschen befragen will, möchte ich noch einmal auf die Malweise zurückkommen. Es gibt ja die immer wiederkehrende und offenbar niemals endgültig zu beantwortende Frage: Kommt Kunst von Können? Ich würde immer antworten: Natürlich kommt Kunst von Können, zumindest auch. Aber es muss noch etwas dazukommen, das sich nicht so leicht auf den Begriff bringen lässt, etwas, was mit Intuition und mit der Besonderheit der Bild-Idee zu tun hat und mit der schließlich erwirkten ästhetischen Anmutung. Und dafür reicht das Können, zumindest, wenn man das handwerkliche Können meint, nicht aus. Aber das Können ist eine unverzichtbare Vorbedingung jeder Kunst. Wer nicht kann, was er eigentlich will, wird keine Kunst erzeugen. Und nicht umsonst gibt es Kunstakademien und Malschulen, wo man, wenn man nicht ein Naturgenie ist wie Picasso, etwas lernen kann und muss. Und es ist offensichtlich, dass Manuela und Lillien Grupe keine Autodidaktinnen sind, die das Malen lediglich als Hobby betrachten und sich dann, weil sie vielleicht noch einen Töpferkurs mitgemacht haben, anmaßen, Kunst zu erzeugen. Manuela Gruppe kommt vielmehr vom Graphik-Design und beherrscht ihr Handwerk, und ihre Tochter hat Kunst studiert und weiß ganz genau, was sie zu tun hat und wie sie es tun muss. Und so stellt sich z.B. für jeden Maler die Frage: Mit welchen Farben will und sollte ich vorgehen, um die beabsichtigte Wirkung meiner Bilder am besten zu erzielen. Ich kann ja mit Buntstiften, Pastellkreiden, Wasser- und Deck-, Acryl- und Ölfarben malen, und das ist alles andere als egal und beliebig. Manuela Grupe z.B. bezeichnet sich selbst als ungeduldig, möchte Veränderungen auf ihren Bildern möglichst schnell vornehmen können und nicht so lange warten müssen, bis die Ölfarbe endlich getrocknet ist. Die Wirkung der deshalb von ihr bevorzugten Acryl-Farben ist vergleichsweise etwas matter und dezenter als die von eher glänzenden Ölfarben, die nun wieder der Tochter Lillien mehr liegen. Sie ist im Gegensatz zu ihrer Mutter bei der Arbeit die Ruhe selbst, geht eher langsam vor und wartet geduldig auf das Trocknen der Farbe, ehe sie, wenn nötig, an ihrem Bild weiter-arbeitet. Und so ist sie auch viel detailversessener, viel akribischer und somit oft viel länger mit einem Bild beschäftigt als ihre Mutter. Und dennoch ist auch das künstlerische Verhältnis von Mutter und Tochter äußerst harmonisch, wie beide versichern. Sie schätzen und achten sich gegenseitig und sind auch immer noch und immer wieder bereit, voneinander zu lernen. Es vereint sie vor allem der Anteil an Gefühl, an verstreutem Herzblut, das ihren Gemälden innewohnt. Die Bilder beider wollen zu ihren jeweiligen Betrachtern sprechen und ihnen etwas sagen, z.B.: Das Altwerden kann natürlich eine Last werden, aber es ist auch etwas Wunderbares, und viele Falten im Gesicht sind nicht hässlich und wollen geglättet werden, sondern sie sind Ausdruck dessen, dass dieser Mensch viel gelacht und viel erlebt hat, uns also viel erzählen könnte, wenn wenn wir ihn darum bitten würden. Das jedenfalls ist ein Anliegen von Manuela Grupe. Aber auch Lilliens Menschen wollen uns berühren, obwohl sie sich das nicht so deutlich anmerken lassen und sich nicht ganz so direkt an uns wenden. Sie sind scheinbar mehr mit sich selbst beschäftigt, in ihre eigene Welt versunken, aber wollen uns damit nicht weniger an ihren Fragen, Wünschen, Ängsten teilhaben lassen und appellieren so z.B. an unsere Empathie und unser Mitfühlen. Zum Schluss habe ich noch an jede der beiden Künstlerinnen eine Frage. Zuerst an Manuela Grupe: Wie entstehen Ihre Bilder? Welche Rolle spielt ein Foto oder spielen mehrere Fotos, und wie verwandelt sich das Fotografierte in ein Gemälde und eben dann doch noch in etwas ganz anderes? Herzlichen Dank für diese Antworten! Und nun meine Frage an Lillien Grupe: Aus welcher Grundstimmung heraus malen Sie? Mit welcher Einstellung gegenüber der Welt, die sich derzeit so rasant weiterentwickelt, machen Sie sich an die Arbeit? Wie sehen Sie ihre Mitmenschen und das, was sie machen, und was vor allem bewegt Sie davon?

Lillien Grupe, „Die Suche nach sich selbst“